25.11.2020

Türkisches und deutsches Erbrecht

Erbrecht allgemein

Erbrechtsfälle mit Berührung zu ausländischen Rechtsordnungen

In Erbrechtsfällen mit Berührung zu ausländischen Rechtsordnungen stellt sich die Frage, nach dem Recht welchen Staates sich die Erbfolge bestimmt. In den meisten Fällen hält die Erbrechtsverordnung der EU (EU-ErbVO) die maßgeblichen erbrechtlichen Kollisionsnormen bereit. Die Verordnung war bereits teilweise in Kraft seit 16.08.2012 und gilt für alle Erbfälle, die nach dem 17.08.2015 eingetreten sind. Ausnahmen im Verhältnis zu Dänemark und Großbritannien.
Davor bestimmte Art. 25 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB), welches Recht zu Anwendung kommt.
Art. 25 EGBGB alte Fassung lautete: „(1) Die Rechtsnachfolge von Todes wegen unterliegt dem Recht des Staates, dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes angehörte. (2) Der Erblasser kann für im Inland belegenes unbewegliches Vermögen in der Form einer Verfügung von Todes wegen deutsches Recht wählen.“ Die aktuelle Fassung des Art. 25 EGBGB verweist nun auf die grundsätzlich vorrangige EU-ErbVO: „Soweit die Rechtsnachfolge von Todes wegen nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 fällt, gelten die Vorschriften des Kapitels III dieser Verordnung entsprechend.“

Verhältnis zur Türkei

Die EU-Erbrechtsverordnung beansprucht zwar universelle Geltung. Aber: sie lässt staatsvertragliche Regelungen unberührt, die vor Annahme der Verordnung abgeschlossen worden sind (vgl. Artikel 75 EU-ErbVO). Die größte praktische Bedeutung kommt dabei dem „Deutsch-türkischen Nachlassabkommen“ zu. Das Nachlassabkommen ist eine Anlage zu Art. 20 des Konsularvertrages zwischen dem deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 28.05.1929. Es enthält insbesondere Regelungen zur internationalen Zuständigkeit und zum anwendbaren Recht (insbesondere Artikel 14, 15). Abweichend von der EU-Erbrechtsverordnung gilt dabei nicht der Grundsatz der Nachlasseinheit. Vielmehr wird sowohl bei der internationalen Zuständigkeit als auch beim anzuwendenden Recht zwischen dem beweglichem und dem unbeweglichen Nachlass unterschieden. Für den unbeweglichen Nachlass (vor allem Grundstücke) ist das Belegenheitsrecht (lex rei sitae) maßgebend. Zuständig sind die Gerichte des Staates, in dem sich die unbeweglichen Nachlassgegenstände befinden. Für den beweglichen Nachlass richtet sich das anzuwendende Erbrecht nach dem Recht des Staates, dem der Erblasser angehört. Zuständig sind die Gerichte seines Heimatstaats.
Spezialregelung kann (weiterhin) zu Nachlassspaltung führen
§ 14 der Anlage zu Art. 20 dieses Konsularvertrages enthält folgende erbrechtliche Kollisionsregel:

(1) Die erbrechtlichen Verhältnisse bestimmen sich in Ansehung des beweglichen Nachlasses nach den Gesetzen des Landes, dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes angehörte.

(2) Die erbrechtlichen Verhältnisse in Ansehung des unbeweglichen Nachlasses bestimmen sich nach den Gesetzen des Landes, in dem dieser Nachlass liegt, und zwar in der gleichen Weise, wie wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes Angehöriger dieses Landes gewesen wäre.

Das heißt: Für das bewegliche Vermögen ist türkisches Erbrecht anzuwenden und für in Deutschland belegenes unbewegliches Vermögen ist deutsches Erbrecht anzuwenden. Nachdem dieser Staatsvertrag hinsichtlich des beweglichen Nachlasses auf die Staatsangehörigkeit und hinsichtlich des unbeweglichen Nachlasses auf die Belegenheit abstellt, kann Nachlassspaltung eintreten, wenn ein Türke mit Grundbesitz in Deutschland oder ein Deutscher mit Grundbesitz in der Türkei verstirbt. Für einen Teil des Nachlasses gilt türkisches Erbrecht, für den anderen gilt deutsches Erbrecht.

So entschied beispielsweise das OLG Köln mit Beschluss vom 21.02.2014 (Aktenzeichen: 2 Wx 30/14 und 2 Wx 43/14).

Wo braucht man welchen Erbschein?

Sowohl in Deutschland als auch in der Türkei benötigen Erben einen Erbschein, um als Erbe über den Nachlass verfügen zu können. Die Krux an der Sache: die Anerkennung eines ausländischen Erbscheins durch ein Anerkennungsverfahren ist nicht möglich, weil Erbscheine keine Entscheidungen sind, die in Rechtskraft erwachsen. Ist es tatsächlich zu einer Nachlassspaltung gekommen, sind zwei Erbscheine zu erteilen. Aus Gründen der Vereinfachung und Vermeidung von Missverständnissen ist das auch unbedingt zu empfehlen.

Beispiele nach Fallgruppen:

1.) Ein türkischer Staatsangehöriger verstirbt und hinterlässt Nachlassvermögen in Deutschland
Ist der Erblasser türkischer Staatsbürger, muss zunächst das Nachlassvermögen näher betrachtet werden.
a) Gehört zum Nachlass des Verstorbenen bewegliches Vermögen, ist es ausreichend, wenn die Erben in Deutschland einen türkischen Erbschein vorlegen können. Dieser türkische Erbschein muss allerdings entweder mit einer Apostille oder einer Beglaubigung durch eine türkische Auslandsvertretung in Deutschland versehen sein.
b) Soweit der Erblasser jedoch auch unbewegliches Vermögen in Deutschland hinterlässt (Wohnung, bebaute oder unbebaute Grundstücke), ist zusätzlich ein deutscher Erbschein beim zuständigen Nachlassgericht am letzten inländischen Wohnsitz des Verstorbenen zu beantragen.

2.) Ein deutscher Staatsangehöriger verstirbt und hinterlässt Nachlassvermögen in der Türkei
Auch hier muss zunächst im Nachlassvermögen nach beweglichen und unbeweglichen Gegenständen unterschieden werden.
a) Bewegliche Nachlassgegenstände (Bankkonten, Depots, Forderungen, Schmuck, usw.)
Für bewegliches Vermögen aus dem Nachlass eines deutschen Erblassers kommt das deutsche Erbrecht zur Anwendung (§ 14 des Nachlassabkommens). In der Praxis sieht das allerdings anders aus. Oftmals erkennen die türkischen Behörden und Banken den deutschen Erbschein nicht an und verlangen die Vorlage eines türkischen Erbscheins. Erben, die in Deutschland ihren Wohnsitz haben, sollten aus diesem Grund (ggf. zusätzlich) einen Erbschein direkt bei dem zuständigen türkischen Amtsgericht/Nachlassgericht beantragen.
b) Unbewegliche Nachlassgegenstände (Immobilien, z.B. Wohnung oder Grundstück)
Hinterlässt ein deutscher Staatsbürger nach seinem Tod unbewegliches Vermögen in der Türkei (z.B. Ferienhaus an der Schwarzmeerküste), findet das türkische Erbrecht Anwendung und es ist zum Nachweis der Erbschaft ein türkischer Erbschein erforderlich. Um einen türkischen Erbschein zu beantragen, ist es ausreichend, dass mindestens einer der Erben bei einem beliebigen türkischen Zivilgericht einen Antrag auf Erstellung des Erbscheins stellt. Es erleichtert das Verfahren, wenn die Erben einen evtl. bereits erteilten deutschen Erbschein dem türkischen Gericht vorlegen (mit Apostille nebst der entsprechenden Übersetzung).

3.) Ein deutscher Staatsangehöriger verstirbt und hinterlässt Nachlassvermögen in Deutschland, aber die Erben wohnen in der Türkei.
Kollisionsrechtlich bereitet dieser Fall keine Probleme. Bekanntlich ist es hierzulande in vielen Fällen erforderlich, dass die Erben zum Nachweis der Erbschaft einen deutschen Erbschein (oder ersetzende öffentliche Urkunden) vorlegen. Haben die Erben ihren Wohnsitz in der Türkei, können diese den deutschen Erbschein bei der für ihren Wohnsitz in der Türkei zuständigen deutschen Auslandsvertretung beantragen.