28.11.2024

Gescheiterte Reform: Was sich im deutschen Sorgerecht fast geändert hätte

Familienrecht allgemein Scheidung

Etwas, das fast Gesetz geworden wäre

 (zu den geplant gewesenen Änderungen im deutschen Sorgerecht)

Durch das Aus der Regierungskoalition im November 2024 sind die Gesetzesvorhaben, die noch in der „Pipeline“ waren, faktisch erledigt. Anfang Oktober noch hatte das Bundesjustizministerium Referentenentwürfe zur Umsetzung der Eckpunkte für die geplanten Reformen im Familienrecht Anfang Oktober an die Länder übersandt – darunter z.B. den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Kindschaftsrechts - Modernisierung von Sorgerecht, Umgangsrecht und Adoptionsrecht (Kindschaftsrechtsmodernisierungsgesetz - KiMoG).

Auch, wenn heute feststeht, dass dieses Gesetzgebungsvorhaben in dieser Legislaturperiode nicht mehr zum Abschluss gebracht werden kann, lohnt sich ein kurzer Blick darauf. Schließlich wären im Bereich des Sorgerechts doch einige grundlegende Änderungen eingetreten. 

Der Entwurf sah unter anderem vor, dass die Kindeseltern mehr (außergerichtliche) Gestaltungsmöglichkeiten erhalten sollten. Nach geltendem Recht ist es bekanntlich so, dass selbst im Falle des Einvernehmens der Eltern über Umgestaltungen der elterlichen Sorge (zum Beispiel: Übertragung von Teilbereichen zur künftigen alleinigen Ausübung durch einen Elternteil) stets das Gericht zu entscheiden hatte, wenn auch mit eingeschränktem Verfahrensaufwand. Eine Ausnahme war lediglich die Begründung des gemeinsamen Sorgerechts durch Sorgeerklärungen der nicht miteinander verheirateten Eltern. Konkret sah der Referentenentwurf vor, dass Eltern – meist nach vorheriger Beratung durch das Jugendamt (und nur wenn die Vereinbarung das das Kindeswohl nicht gefährdet) – hätten vereinbaren können:


  • die Begründung der Alleinsorge eines Elternteils (§ 1641 Absatz 1 Nummer 2 BGB-E), mit der also ein bisher mitberechtigter Elternteil die elterliche Sorge ganz oder in Teilen verloren hätte
  • die (Wieder-)Herstellung der gemeinsamen Sorge (§ 1641 Absatz 1 Nummer 1 BGB-E), sodass z.B. ein Sorgerechtsentzug wieder rückgängig hätte gemacht werden können
  • wie die (getrenntlebenden) Eltern die Betreuung ihres Kindes zeitlich untereinander aufzuteilen gedacht hätten (§ 1677 BGB-E) – obwohl das nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung eine Frage des Umgangsrechts ist und also rechtstechnisch eher zu § 1684 BGB gehört hätte


Hervorzuheben ist auch der geplant gewesene „Mini-Schritt“ in Richtung Gleichberechtigung von Mann/Vater und Frau/Mutter bei nicht miteinander verheirateten Eltern. 

Nach bisher geltendem Recht steht automatisch ab Kindesgeburt die Alleinsorge der Mutter zu – es sei denn, die Eltern geben beim Jugendamt sog. Sorgeerklärungen ab und begründet dadurch die gemeinsame Sorge oder heiraten später doch noch einander (§ 1626 a Absatz 1 Nummer 2 BGB). Als dritte Möglichkeit gibt es für den nicht sorgeberechtigten Vater aktuell nur noch die Option, die elterliche Mitsorgeberechtigung beim Familiengericht zu beantragen (§ 1626 a Absatz 1 Nummer 3 BGB). Theoretisch in einem vereinfachten Verfahren, wobei die verweigernde Einlassung der Mutter meist die Ausweitung in ein „ordentliches“ Kindschaftsverfahren zur Folge hat, dieses oftmals unter Beteiligung des Jugendamts sowie nach Bestellung von Verfahrensbeistand und ggf. sogar nach Einholung eines familienpsychologischen Gutachtens. 

Diese deutsche Trennung von Elternschaft (Vaterschaft fällt nur dem Ehemann der Mutter zu) und elterlicher Verantwortung (nur der mit der Mutter verheiratete Vater ist automatisch sorgeberechtigt) ist inzwischen in Europa einmalig – ein Umstand, auf den wir aber nicht stolz sein können. Darin liegt nämlich eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen verheirateten Eltern und nicht (miteinander) verheirateten Eltern. Auch die Erkenntnis, dass es dem Kind meist völlig wurscht ist, ob seine Eltern nun miteinander verheiratet sind oder nicht, bricht sich langsam Bahn. 

Trotzdem, nach den bisherigen „Reparaturversuchen“ an der Regelung des § 1626 a BGB – erforderlich aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) - hätte die neue Regelung des § 1627 BGB-E immerhin ein weiterer Schritt in die richtige Richtung sein können.

Ein nicht mit der Mutter verheirateter Vater hätte dann künftig wohlmöglich mit weniger Aufwand das gemeinsame Sorgerecht für sein Kind erlangen können. Das Sorgerecht wäre nämlich automatisch zur Entstehung gekommen, wenn (1) der Vater die Vaterschaft für das Kind anerkannt, (2) die Mutter der Anerkennung zugestimmt und (3) kein Elternteil dem gemeinsamen Sorgerecht innerhalb einer bestimmten Frist (14 Tage) nach der Anerkennung der Vaterschaft beziehungsweise der Zustimmung zur Anerkennung der Vaterschaft widersprochen hätte (§ 1627 Absatz 2 Nummer 1 BGB-E). Der Widerspruch wäre gegenüber dem zuständigen Jugendamt bzw. der ansonsten zur Beurkundung zuständigen Stelle zu erklären gewesen.

Ob diese „Widerspruchslösung“ mit kurzer Frist der Stein der Weisen ist, kann heute dahingestellt bleiben. Diese Reform jedenfalls wird auf absehbare Zeit nicht kommen. Ob das bedauernswert ist oder nicht, mag jeder für sich selbst entscheiden.