24.01.2022

Verantwortungsgemeinschaft als weiteres Standardmodell

Familienrecht allgemein

Mehr finanzielle & rechtliche Unterstützung durch den Gesetzgeber

Die Bundesregierung hat sich einiges vorgenommen. Laut Koalitionsvertrag soll es nach Möglichkeit schon bald zu einer weiteren, tiefgreifenden Reform im Familienrecht kommen. Unter anderem soll eine Verantwortungsgemeinschaft aus der Taufe gehoben werden: „Wir werden das Institut der Verantwortungsgemeinschaft einführen und damit jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglichen, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen.“ (vgl. Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, S.101). Damit möchte der Gesetzgeber Gemeinschaften, die nicht dem klassischen Familienmuster entsprechen, mehr finanzielle und rechtliche Unterstützung bieten.

Eine Reform „historischen Ausmaßes“

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) legt die Messlatte hoch: „Was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, ist vermutlich die größte familienrechtliche Reform der letzten Jahrzehnte", sagte er der DPA. Und weiter: „Wir denken und arbeiten hier tatsächlich in historischen Kategorien". Es folgte noch ein Seitenhieb in Richtung CDU: Die Vorgängerregierungen der letzten 16 Jahre hätten sich mitunter "einfach schwergetan“ mit den „gesellschaftspolitischen Realitäten". 

Wobei man nicht vergessen darf, dass immerhin unter Bundeskanzlerin Merkel die „Ehe für alle“ eingeführt wurde. Die bürgerlich-rechtliche Ehe steht seitdem auch gleichgeschlechtlichen Paaren offen. Diese mussten sich bis dahin mit der Lebenspartnerschaft begnügen, die 2001 eingeführt wurde und zwar in vielen Rechtswirkungen der Ehe ähnelte, dieser aber nicht gleichgestellt war – insbesondere nicht in steuerlicher Hinsicht. Am 01.10.2017 trat das Gesetz für die gleichgeschlechtliche Ehe in Kraft. § 1353 Abs.1 Satz 1 BGB lautet seitdem: „Die Ehe wird von zweiPersonen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen.“

Brauchen wir eine Verantwortungsgemeinschaft als „Ehe light“?

Wenn ein Paar fehlende Verbindlichkeit beklagt und den Wunsch verspürt, gegenseitig füreinander Verantwortung zu übernehmen, gibt es derzeit keine Alternative zur Eheschließung. Nach der gesetzlichen Grundkonzeption ist die Ehe eine lebenslange Verbindung mit umfassender Verantwortung der Ehegatten untereinander. Es gilt der gesetzliche Güterstand, die gesetzliche Unterhaltspflicht, das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht, der gesetzlich angeordnete Versorgungsausgleich und (allerdings sehr beschränkt) ein Vertretungsrecht der Ehegatten. Salopp formuliert, gibt der Gesetzgeber das Kleingedruckte vor, quasi als Allgemeine Geschäftsbedingungen der Ehe.

Natürlich können Ehegatten die Wirkungen der Ehe in einzelnen Bereichen auf ihre individuellen Bedürfnisse anpassen mithilfe eines notariellen Ehevertrages. Im Rahmen der Vertragsfreiheit (also jenseits der Sittenwidrigkeit und Vorgaben gesetzlicher Verbote) können die Ehegatten die Ehe-AGB einschränken oder erweitern. Im Streitfall prüft das Familiengericht im Rahmen der Ausübungs- und Wirksamkeitskontrolle, ob die verfassungsrechtlichen Vorgaben eingehalten wurden (Stichworte: Kernbereich der Scheidungsfolgen, Ungleichgewicht, Kompensation). Denkbar ist zum Beispiel, dass die Ehegatten die Unterhaltspflichten für die Zeit nach rechtskräftiger Scheidung weitestgehend abbedingen. Im Güterrecht können sie die Zugewinngemeinschaft modifizieren (Ausschluss einzelner Vermögensgegenstände Beschränkung des Ausgleichs auf das Eheende durch Tod) oder sie können Gütertrennung oder einen europäischen Güterstand wählen.

Trotz dieser Anpassungsmöglichkeiten scheint es eine respektable Anzahl von Paaren zu geben, die sich mit einer Eheschließung nicht anfreunden können. Sie sehen offenbar in der Eingehung der Ehe mit ihrem vorgegebenen rechtlichen Gerüst ein Risiko, das es zu vermeiden gilt. Aus meiner Sicht ist das grotesk, denn rechtliche Risiken bestehen bei einem Zusammenleben außerhalb der Ehe in noch größerem Ausmaß. Die Paare ohne Trauschein leben in der trügerischen Annahme, es gebe bestimmt schon irgendwelche gesetzlichen Regelungen für einen fairen Interessenausgleich. Nein, die gibt es größtenteils nicht. Der Gesetzgeber hat bisher nichteheliche Lebensgemeinschaften ausdrücklich im Regen stehen lassen. Ob damit die herkömmliche Ehe gefördert werden sollte bzw. Leitbilder der christlich-abendländischen Kultur eine Rolle spielten, braucht heute nicht spekuliert zu werden. Jedenfalls wird vom ganz überwiegenden Teil der Rechtsprechung und Literatur abgelehnt, diese absichtlichen Regelungslücken durch Analogien zu den Ehevorschriften zu schließen. Das betrifft zum Beispiel die für Ehegatten geltenden Vorschriften zur Ehewohnung, Hausrat, Adoption, Namensrecht, Steuerrecht, Sozialversicherung, usw.). Immerhin die Vorschriften des Vermögensrechts und allgemeine, eben alle nicht ehe-bezogenen Vorschriften, sind anwendbar. Nur vereinzelt sind Ausgleichsansprüche nach Scheitern der nichtehelichen Lebensgemeinschaft denkbar. Im Großen und Ganzen jedoch bietet das Gesetz kaum Schutz.

Diese Lücke müssen Paare derzeit noch aktiv schließen durch notarielle Verträge - was aber nur teilweise gelingt und zudem sehr umständlich ist. In einem Partnerschaftsvertrag für die nichteheliche Lebensgemeinschaft können die frei Zusammenlebenden den rechtsfreien Raum auffüllen und ihre gegenseitigen Beziehungen vertraglich regeln. Das betrifft vor allem die Gestaltung des Zusammenlebens und die Vermögensverhältnisse. Gibt ein Partner zum Beispiel seinen Beruf auf zu Gunsten der Haushaltsführung und Kindererziehung, kann für den Fall, dass die Beziehung scheitert, eine finanzielle Kompensation vereinbart werden. Solche Vereinbarungen können aber niemals das ersetzen, was bei Ehegatten gilt: ein Versorgungsausgleich, ein Zugewinnausgleich, Regelungen zum Ehegattenunterhalt, eine Hinterbliebenenrente, erbrechtliche und steuerliche Privilegien, usw.

Außerhalb einer Ehe oder vertraglich abgesicherter Lebensgemeinschaft, wird es mit der Begründung einer rechtlichen Verantwortung sehr übersichtlich. Wer die volle Verantwortung für eine andere volljährige Person übernehmen will, muss derzeit rechtlicher Betreuer sein (bei Vorliegen der Voraussetzungen und im Rahmen der zugewiesenen Aufgabenkreise) oder ein ausdrücklich Bevollmächtigter (z.B. durch eine Vorsorgevollmacht). Genau da möchte offenbar die Regierungskoalition ansetzen und ein Modell schaffen für eine rechtlich gesicherte Verantwortung füreinander jenseits der Ehe, und zwar ausdrücklich auch für mehr als nur 2 Personen.

Wie könnte so eine Versorgungsgemeinschaft aussehen?

Zu den Plänen der Ampelkoalition ist bisher wenig Konkretes bekannt. Bisherigen Andeutungen zufolge soll ein mehrstufiges, standardisiertes Modell angeboten werden, das „zu den verschiedenen Lebenssituationen passt und eine unterschiedliche Intensität der Verantwortungsübernahme füreinander ermöglicht" (Buschmann). Man hat sog. Wahlverwandtschaften im Blick, die das traditionelle Familienmodell von Vater, Mutter und Kind mitunter sehr bunt und vielfältig ergänzen. Zur Wirklichkeit gehören längst Patchwork-Familien, Regenbogen-Familien, Eineltern-Familien und Gemeinschaften mit familienähnlicher Struktur wie Freundschaften, Nachbarschaften, Co- Elternschaften und Wohngemeinschaften. Zum Beispiel könnte eine Senioren-Wohngemeinschaft abgesichert werden für den Fall, dass ein WG-Senior plötzlich ins Krankenhaus kommt (ärztliche Schweigepflicht). Oder, falls der bisherige Alleinmieter der WG stirbt, könnte das Gesetz ein Eintrittsrecht der übrigen Senioren in den Mietvertrag vorsehen. 

Diese Denkansätze sind interessant. Bemerkenswert ist, dass die Ampelkoalition zumindest laut Koalitionsvertrag plant, das Modell der Zweierbeziehungen aufzubrechen. Das hat bisher noch keinanderes Land in Europa gewagt.

Aber, sind wir mal ehrlich, mit Familie hat das doch eher wenig zu tun. Erklärtermaßen soll es bei der Verantwortungsgemeinschaft um Formen der Verantwortungsübernahme gehen, die jenseits von Kindern und Liebesbeziehungen stattfinden. So stellte auch Rechtsanwalt Stephan Thomae, der die FDP im Deutschen Bundestag vertritt, im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) klar: Obwohl es auch bei der Verantwortungsgemeinschaft im weitesten Sinne um Familie geht, könne der Begriff in die Irre führen. Denn Familie habe meist etwas mit Partnerschaft, Liebe und Kindern zu tun. Die Verantwortungs-gemeinschaft könnte beispielsweise für Senioren-WGs,Mehrgenerationenhäuser und Nachbarschaftshilfen Vorteile schaffen, kurz: überall dort, woPersonen auf lange Zeit füreinander da sind. Man wolle auch kein Konkurrenzprodukt zur Ehe schaffen. Bestimmte Privilegien würden der Ehe vorbehalten bleiben, wie beispielsweise das Adoptionsrecht, das Aufenthaltsrecht und mietrechtliche Vorteile (zitiert nach einem Bericht des RND).

Man bekommt den Eindruck, das Gesetz biete derzeit überhaupt keine Möglichkeiten der Absicherung. Aber der Schein trügt. Bleiben wir bei der Senioren-WG: die Bewohner könnten sich vorsorglich gegenseitig bevollmächtigen. Außerdem gelten wohl die Vorschriften zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), denn diese sind keineswegs nur Gewerbetreibenden/Unternehmern vorbehalten. Manchmal realisiert man gar nicht, dass man sich privat bereits in einem Gebilde bewegt, das vor Gericht justiziabel ist. Zum Beispiel ist eine Fahrgemeinschaft nicht nur ein unverbindlicher Austausch von Freundlichkeiten, kein bloßes Gefälligkeitsverhältnis, sondern hat oftmals bereits rechtliche Verbindlichkeit erlangt mit der weiteren Konsequenz, dass auch vertragliche Haftungsansprüche entstehen können.

Blick nach Frankreich und in die Schweiz

In Frankreich gibt es seit 1999 den pacte civil de solidarité, kurz PACS. Verpacst sich ein Paar, entsteht eine eheähnliche Gemeinschaft. Diese kann sehr einfach geschlossen werden und ebenso einfach auch wieder aufgelöst werden. Ein PACS-Vertrag ähnelt der Ehe deutlich.
PACS-Partner werden steuerlich gemeinsam veranlagt, können gemeinsam Steuervergünstigungen anmelden. Im Todesfall bestehen aber eklatante Nachteile zur Ehe. Einzelheiten zum PACS kann man nachlesen in einem Merkblatt der Botschaft für Deutsche, die in Frankreich einen PACS eingehen möchten. Der französische Gesetzgeber das den PACS als echte Alternative zur Ehe. Anfänglich profitierten die gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften von dieser neuen Form. In Frankreich resümiert man inzwischen den Erfolg eher nüchtern: gleichgeschlechtliche Paare können bereits seit 2013 die Ehe eingehen. Der PACS dient aktuell eher als Vorstufe oder Durchgangsstation zur Ehe. Offenbar gibt es „sehr viele, die sich verpacsen und sagen, na, wir heiraten später – vielleicht, weil sie jetzt keine Zeit zum Heiraten oder nicht das Geld dafür haben.“ (Rechtsanwältin und Notarin Nathalie Couzigou-Suhas, Paris, zitiert aus einem Beitrag des Deutschlandfunk). 

Die Schweiz hat mit Abstimmung von 2021 (Abstimmungstext für die Änderung des ZGB hier) die „Ehe für alle“ eingeführt. Davor gab es für gleichgeschlechtliche Paare nur die eingetragene Partnerschaft. Neben der Ehe gibt es derzeit nur das rechtlich weitgehend unverbindliche Konkubinat. Allerdings wird auch in der Schweiz schon seit Jahren eine „Ehe light“ nach französischem Vorbild diskutiert. Es wird ein Bericht des Bundesrates erwartet zu einem neuen Partnerschaftsmodell. „Konkubinat und Ehe stehen an den jeweiligen Enden einer Skala der rechtlichen Verbindlichkeit, sagt Ständerat und Jurist Caroni (zitiert nach einem Bericht von watson/CNN ). „Das Konkubinat liegt unten auf der Skala und biete ohne vertragliche Ergänzungkaum rechtliche Absicherung. Die Ehe als «All-Inclusive-Lösung» liegt zuoberst. Der Pacs würde auf dieser Skala in der Mitte zu liegen kommen und könnte für Paare, denen das Konkubinat zu unverbindlich, die Ehe jedoch zu weitgehend ist, eine interessante Alternative sein: «Ich bin überzeugt, dass ein Pacs einem Bedürfnis entspricht.»“